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Kindliche Vorstellungen von Sterben & Tod

Kurz nach dem 5. Geburtstag unseres Sohnes, kam mein schwer kranker Vater in ein Hospiz. Außer ihm lebten dort noch fünf andere Menschen, die bald sterben würden. Weil ein Fünfjähriger nicht immer ganz leise ist, bat ich ihn, Rücksicht zu nehmen. Ich erinnerte ihn an die Libellen, die wir vor wenigen Wochen beim Schlüpfen beobachtet hatten und sagte ihm, dass Menschen, wenn sie Sterben, ebenso viel Ruhe brauchen wie die Libellenlarven. Dass Sterben etwas ähnliches ist wie Schlüpfen. Dass ein Mensch seinen Körper verlässt, wie die Libelle ihre Larvenhülle. Etwa zwei Wochen später starb mein Vater. Als ich meinen Sohn fragte, ob er mit ins Zimmer kommen und den toten Opa anschauen möchte, brauchte er sehr lange für eine Antwort. „Auf deinem Arm will ich rein“, sagte er schließlich und schmiegte sich sehr eng an mich. Erst als wir schon wieder zu Hause waren, erfuhr ich den Grund für seine Unsicherheit. „Ich dachte, da würde nur noch ein brauner Bauch liegen, der offen ist“, erzählte er mir...

Noch bis ins Grundschulalter hinein nehmen Kinder das, was Erwachsene sagen, sehr wörtlich. Bilder und Metaphern, die uns sinnvoll oder tröstlich erscheinen, werden von ihnen wie jede andere Erklärung auch als Beschreibung der erfahrbaren Wirklichkeit verstanden. Selbst gebräuchliche Erklärungsversuche wie „Opa ist für immer eingeschlafen“, „Opa ist gestorben, weil er so krank war“ „Opa guckt uns jetzt vom Himmel aus zu“, können Kinder sehr beunruhigen (Vielleicht wache ich auch nicht mehr auf, wenn ich jetzt einschlafe? Oder die Mama oder der Papa? - Wenn man doll krank wird, stirbt man auch! - Sieht Opa jetzt immer alles, was ich mache?).
Wie sich Kinder Sterben und Tod vorstellen, hängt zum einen davon ab, was in der Familie darüber gedacht, geglaubt und gesprochen wird, zum anderen ist es von ihrem Alter und ihrer Entwicklung abhängig. Sehr vereinfacht lassen sich folgende Tendenzen beschreiben:

0-3 Jährige können zwar die Begriffe "Sterben" und "Tod" noch nicht verstandesmäßig erfassen, empfinden jedoch einen Verlust sehr deutlich.

3-5 Jährige neigen dazu, Sterben und Tod als einen vorübergehenden Zustand zu betrachten, wie eine Weggehen auf Zeit, wodurch Trennungsängste ausgelöst werden können.

5-7 Jährige haben noch keine klaren Vorstellungen, sind an den Vorgängen um Sterben und Tod interessiert und beginnen, sich Gedanken über Sterben, Tod und ein Weiterleben nach dem Tod zu machen. Sie fangen an, die Endgültigkeit des Todes zu begreifen und fassen ihn nicht selten als Bestrafung für böse Taten auf, die der Verstorbene, die Angehörigen oder sie selber (!) getan haben.

7-9 Jährige beginnen über den eigenen Tod nachzudenken und an eine Unsterblichkeit der Seele/des Geistes zu glauben. Sie sind mit den Geheimnissen des Lebens und Sterbens beschäftigt, aber auch mit Trennungs- und Verstümmelungsängsten.

9-11 Jährige wissen, dass der Tod unumkehrbar ist und sehen Sterben und Tod als ein Ereignis, dass jeden Menschen, auch sie selber, treffen kann und treffen wird.

Für Kinder ab 11 Jahren haben mehr und mehr die gleichen philosophischen, ethisch-religiösen und psychologischen Fragen und Überlegungen Bedeutung, die auch Erwachsene in Bezug auf Tod und Sterben bewegen.


Link-Tipp

Unterrichtsmaterialien
für die Grunschule und die Sekundarstufen 1 und 2 mit Hintergrundinformationen. Herausgegeben von Omega - Mit dem Sterben leben e.V.